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Zahnbehandlung in Ungarn

Zahnbehandlungen in Ungarn
Artikel in Neue OZ vom 22. März 2004

Fürs Zähneflicken in die Ferien

Patienten, denen die Zahnärzte in der Schweiz zu teuer sind, lassen sich in Ungarn behandeln. Fachleute warnen vor grossen Risiken.
Ferien in Ungarn und sich nebenbei die Zähne flicken lassen? Genau das machen jedes Jahr Tausende von Schweizerinnen und Schweizern. Franz Oswald, Geschäftsführer der F. Oswald Consulting, bringt wöchentlich einen Reisecar voll Zahntouristen nach Ungarn. Sie zahlen - trotz der Reise - bis zu 80 Prozent weniger, angeboten wird alles, von der Zahnsteinentfernung bis hin zur vollständigen Prothese. Wenn sie nicht gerade auf dem Zahnarztstuhl sitzen, machen sie Ausflüge nach Budapest und besichtigen Sehenswürdigkeiten.

VON MANUELA SPECKER
Ferien in Ungarn und sich nebenbei die Zähne flicken lassen? Genau das machen jedes Jahr Tausende von Schweizerinnen und Schweizern. Franz Oswald, Geschäftsführer der F. Oswald Consulting, bringt wöchentlich einen Reisecar voll Zahntouristen nach Ungarn. Sie zahlen - trotz der Reise - bis zu 80 Prozent weniger, angeboten wird alles, von der Zahnsteinentfernung bis hin zur vollständigen Prothese. Wenn sie nicht gerade auf dem Zahnarztstuhl sitzen, machen sie Ausflüge nach Budapest und besichtigen Sehenswürdigkeiten.
Franz Oswald ist bei weitem nicht der einzige Anbieter. Immer wieder erscheinen Kleininserate von Reiseveranstaltern, die mit einer Zahnbehandlung in Ungarn um Kunden werben, manchmal sogar kombiniert mit Badeferien. Das klingt verlockend, aber lohnt es sich für die Zahntouristen tatsächlich? Andreas Joss, Oberassistent an den zahnmedizinischen Kliniken der Universität Bern, ist sehr skeptisch. «In Ungarn werden grobe Fehler gemacht.» Gestützt wird diese Aussage durch eine Studie der Uni Bern. Untersucht wurden Ende der Neunzigerjahre die Zähne von Patientinnen und Patienten, die sich in Ungarn oder in der Schweiz behandeln liessen. Die untersuchenden Zahnärzte waren nicht über das Herstellungsland der Rekonstruktionen informiert. Karikatur von Jals
Karikatur von Jals

Erschreckende Studienergebnisse
Erschreckendes Ergebnis: «80 Prozent der ungarischen Arbeiten galten als ungenügend, wovon 39 Prozent gar als Verstümmelung des Gebisses angesehen werden mussten», so Andreas Joss, der an der Studie mitgearbeitet hat. Die beiden höchsten Standards - ausgezeichnete Arbeit und gute Behandlung - konnten für ungarische Arbeiten nie vergeben werden.

Andreas Joss kritisiert insbesondere, dass Behandlungen, die in der Schweiz mehrere Monate in Anspruch nehmen, in Ungarn mit den organisierten Reisegruppen innerhalb einer Woche durchgeführt werden. Beispiel: «Wird ein Zahn gezogen, muss zuerst während vier bis sechs Monaten die Wunde abheilen, bevor eine Krone oder Brücke eingesetzt werden kann. Ansonsten steigt das Risiko für Entzündungen. Bei unsachgemässer Beschleifung der Krone droht gar das Absterben des Zahnes mit Abszess», so der Fachzahnarzt für rekonstruktive Zahnheilkunde und Parodontologie.

Franz Oswald entgegnet, bei seinen Reisegruppen würde die Heilungsprozesse sehr wohl abgewartet, «wenn Zähne gezogen werden müssen, dann passiert das immer in der Schweiz», so Oswald. Erst Monate später werde das Implantat in Ungarn eingesetzt. Die Zahnarztpraxis in Ungarn sei hochmodern, «und wenn die Arbeit wirklich so schlecht wäre, hätte ich nicht 70 Prozent Stammkunden.»

Die Leute, die sich in Ungarn behandeln lassen, haben häufig einen guten Eindruck und sind froh, dass sie so wenig dafür zahlen mussten. Doch Andreas Joss warnt: Nur Fachleute würden erkennen, dass beispielsweise die Krone nicht richtig passt und sich dadurch nur schlecht putzen lässt. «Hier ist absehbar, dass Karies entstehen wird, auch wenn die Mundhygiene noch so gut ist.» Die Folgekosten von Nachbehandlungen seien oft grösser als die vermeintlichen Einsparungen.

Dass die Veranstalter die Zahnbehandlungen in Ungarn verteidigen und hiesige Zahnärzte sie verteufeln, liegt auf der Hand. Was meinen die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) und die Schweizerische Patientenorganisation (SPO) dazu? Der Grundtenor ist bei beiden derselbe: «Man kann nicht sagen, dass die Zahnärzte in Ungarn grundsätzlich schlechter arbeiten», so SKS-Geschäftsführerin Jacqueline Bachmann. «Die Patienten müssen sich aber bewusst sein, dass sie in Ungarn ein höheres Risiko eingehen.»

Patienten sind wehrlos
Und wenn Probleme auftauchen, sei es schwierig, von der Schweiz aus zu reagieren. Alexander Reber, Sekretär der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft SSO und Fürsprecher: «Man müsste vor ein ungarisches Gericht gehen, das ist nahezu aussichtlos.» In der Schweiz hingegen haben die Zahnärzte eine Haftpflichtversicherung, und betroffene Patienten können sich an eine Begutachtungskommission wenden. Bloss: Bei Verstümmelungen hilft keine Nachbehandlung. Andreas Joss weiss von Kronen, die in Ungarn eingesetzt wurden, obwohl es gar keine brauchte. «Es kommt in Ungarn immer wieder vor, dass Zähne behandelt werden, die es nicht nötig hätten.» Im Gegensatz zu den Schweizer Zahnärzten hätten die ungarischen Zahnärzte gegenüber den Zahntouristen keine Langzeitverantwortung.

Regelmässige Kontrollen
Solche Horror-Szenarien hat Franz Oswald noch nie erlebt. In jener Privat-Klinik, in die er die Schweizer Zahntouristen bringt, würden regelmässig Qualitätskontrollen durchgeführt. «Von Schweizer Zahnärzten», wie er betont.

Generell kann man sagen: Patienten sollten sich nicht einfach von den tiefen Preisen blenden lassen, sondern das Angebot kritisch hinterfragen (siehe Kasten).

Arbeit kritisch hinterfragen
Ursula Gröbty, Beraterin bei der Schweizerischen Patientenorganisa-tion SPO, kann nachvollziehen, dass Leute aus finanziellen Gründen ihr« Zähne in Ungarn behandeln lassen - die Einsparungen betragen bis zu 80 Prozent. Sie mahnt aber zu erhöhter
Vorsicht. So haben sich schon Patienten bei ihr gemeldet, denen unnötig Zähne gezogen wurden und die mit allen Nachbehandlungen letzlich viel mehr zahlen mussten, als sie einge-spart haben. Auch Patienten, bei denen nach der Behandlung die Bisshöhe nicht stimmte und dadurch Schwierigkeiten mit den Kiefergelenken auftauchten, sind ihr bekannt «Natürlich ist auch in der Schweiz nicht alles gut, was gemacht wird. Das Risiko in Ungarn ist aber deutlich höher», so Ursula Gröbly. Um die Möglichkeit böser Überraschungen zu verkleinern, sollte man laut SPO zu-mindest auf Folgendes achten:

* Referenzen einholen von Leuten, die sich seit längerer Zeh vom betreffenden Zahnarzt in Ungarn behandeln lassen. Diese Referenzen unabhängig vom Reiseveranstalter einholen.
* Nur mit klaren Vorstellungen, was geflickt werden muss, nach Ungarn reisen. Das bedingt eine Voruntersuchung bei einem Schweizer Zahnarzt, wo man über den Zustand der Zähne und die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten informiert wird.
* Im Zweifelstall von einer Behandlung in Ungarn absehen, auch wenn man schon vor Ort ist. Wer sich einer organisierten Reise mit dem Ziel der Zahnbehandlung anschliesst, verpflichtet sich zu nichts. Soll beispielsweise innerhalb einer Woche sowohl der Zahn gezogen wie die Krone eingesetzt werden, heisst es: Finger weg!